Otto Schmidt Verlag

BGH v. 26.1.2023 - I ZR 111/22

Zur Klagebefugnis eines Verbands mit überwiegend passiven Mitgliedern

Für die Klagebefugnis eines Verbands kommt es grundsätzlich nicht darauf an, über welche mitgliedschaftlichen Rechte dessen - mittelbare oder unmittelbare - Mitglieder verfügen. Wie bei mittelbaren Mitgliedern kommt es auch bei unmittelbaren Mitgliedern auf deren Stimmberechtigung nur an, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihre Mitgliedschaft allein bezweckt, dem Verband die Klagebefugnis zu verschaffen.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, dessen Vereinszweck ausweislich der Satzung die umfassende Förderung insbesondere der rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen deutscher Online-Unternehmer und Online-Freiberufler zum Inhalt hat. Ihm gehören nach eigenen Angaben rd. 2.750 Mitglieder an, von denen aktuell 43 aktive Mitglieder sein sollen; im Übrigen handelt es sich um passive Mitglieder. Die aktive Mitgliedschaft ist mit einem höheren Mitgliedsbeitrag verbunden. In der Satzung des Klägers heißt es u.a.:

"§ 2 Vereinszweck
(2) Der Vereinszweck ist die umfassende Förderung insbesondere der rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen deutscher Online-Unternehmer und Online-Freiberufler.
(4) In streitigen Fällen werden die Satzungszwecke insbesondere verwirklicht durch den Versuch der Herbeiführung einer Einigung, beispielsweise durch Erstellung und Versendungen von Abmahnungen auf der Grundlage der Aktivlegitimation. Ungeachtet dessen kann der Verein - sofern der vorgenannte Versuch erfolglos geblieben ist - Zivilprozesse führen.

§ 3 Arten von Mitgliedschaften
(1) Der Verein nimmt aktive und passive Mitglieder auf.
(3) Aktive Mitglieder sind berechtigt, in sämtliche Vereinsorgane gewählt zu werden und haben in der Mitgliederversammlung das Stimmrecht.
(4) Passive Mitglieder haben kein Stimmrecht in der Mitgliederversammlung, müssen im Verein nicht aktiv mitwirken, haben aber im Übrigen das Recht, die Leistungen des Vereins wie aktive Mitglieder zu beanspruchen.

§ 9 Mitgliederversammlung
(1) In der Mitgliederversammlung haben nur aktive Mitglieder ein Stimmrecht.
(7) Der Vorstand hat eine außerordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen, falls …
b. eine Anzahl von einem Zehntel der Vereinsmitglieder dies unter Angabe von Gründen gegenüber dem Vorstand in Textform fordert.

§ 10 Ausschüsse
(1) Verlangt ein Zehntel der Mitglieder in Textform vom Vorstand einen Ausschuss zu einer bestimmten Thematik, so hat der Vorstand diesen einzurichten, …"

Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich des Tierfachhandels. Sie bietet u.a. auf der Online-Handelsplattform "Google Shopping" unter dem Verkäufernamen "F. -Online-Shop Deutschland" Waren zum Kauf an. Im März 2019 bot sie dort Katzenfutter in Fertigpackungen an, ohne neben dem Gesamtpreis einen Grundpreis anzugeben. Der Kläger nahm die Beklagte auf Unterlassung unter Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung in Anspruch.

Das LG gab der Klage antragsgemäß statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision des Kläger hob der BGH das Urteil des OLG auf und wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat dem Kläger zu Unrecht die Prozessführungsbefugnis abgesprochen. Die Rechtsverfolgung durch den Kläger ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Die Klage ist begründet; dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.

Entgegen der Auffassung des OLG steht die Mitgliederstruktur des Klägers, die eine deutlich überwiegende Anzahl von passiven Mitgliedern aufweist, seiner Klagebefugnis nicht entgegen. Für die Klagebefugnis eines Verbands kommt es grundsätzlich nicht darauf an, über welche mitgliedschaftlichen Rechte dessen - mittelbare oder unmittelbare - Mitglieder verfügen. So genügt es, dass ein Verband, der dem klagenden Verband Wettbewerber des Beklagten als (mittelbare) Mitglieder vermittelt, von diesen mit der Wahrnehmung ihrer gewerblichen Interessen - ggf. auch durch schlüssiges Verhalten - beauftragt worden ist und seinerseits den klagenden Verband durch seinen Beitritt mit der Wahrnehmung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder beauftragen durfte. Auf die Frage, ob die Organisation, die dem klagenden Verband Mitglieder vermittelt, bei diesem stimmberechtigt ist, kommt es nur an, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Mitgliedschaft der Organisation dazu dienen sollte, künstlich die Voraussetzungen für die Verbandsklagebefugnis zu schaffen. Auch bei unmittelbaren Mitgliedern kommt es auf deren Stimmberechtigung nur an, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihre Mitgliedschaft allein bezweckt, dem Verband die Klagebefugnis zu verschaffen.

Für die Annahme, der Kläger wolle durch seine Mitgliederstruktur künstlich die Voraussetzungen für seine Verbandsklagebefugnis schaffen, es gehe ihm mithin nicht darum, gemeinsame Interessen am Schutz des lauteren Wettbewerbs zu bündeln, bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Der Umstand, dass nur 43 von derzeit etwa 2.750 Mitgliedern des Klägers aktive Mitglieder mit Stimmrecht sind, spricht nicht gegen seine Klagebefugnis. Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, über welche mitgliedschaftlichen Rechte die Mitglieder verfügen. Zudem steht den passiven Mitgliedern grundsätzlich die aktive Mitgliedschaft offen. Sie verfügen i.Ü. auch als passive Mitglieder mit Ausnahme des Stimmrechts über sämtliche Mitgliedsrechte der aktiven Mitglieder und haben so die Möglichkeit, im Rahmen von Ausschüssen und durch Anregungen gestaltend auf die Tätigkeit des Klägers Einfluss zu nehmen. Ihnen steht darüber hinaus das Recht zu, an allen Versammlungen teilzunehmen und sich zu äußern sowie die Einberufung einer Mitgliederversammlung und die Einrichtung eines Ausschusses zu beantragen.

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Kurzbeitrag:

Verbandsklagebefugnis bei Datenschutzverstößen – BGH ruft erneut den EuGH an
Ralph Müller-Bidinger, IPRB 2022, 237

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.03.2023 10:37
Quelle: BGH online

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