Otto Schmidt Verlag

OLG Hamburg v. 12.1.2023 - 15 U 29/21 Kart

Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung eines Vermittlers von Radiowerbezeiten (Radio Cottbus II)

Eine bundeslandweite Hörfunksendelizenz sagt nichts darüber aus, ob der Hörfunksender tatsächlich im gesamten (Flächen-) Bundesland empfangen werden kann. Eine gleichmäßige Verteilung der Hörer eines Senders über das Gesamtgebiet eines (Flächen-) Bundeslands kann damit ebenfalls nicht gewährleistet werden, und eine solche Verteilung spielt neben der reinen Hörerzahl für die Vermarktung von Hörfunkwerbezeiten an überregional Werbetreibende auch keine Rolle.

Der Sachverhalt:
Die Klägerinnen betreiben private Lokalradiosender in Brandenburg. Die Klägerin zu 1) den Sender „Radio Cottbus“ und die Klägerin zu 2) das „Radio Potsdam 89.2“, deren Verbreitungsgebiet jeweils Stadt und Umland erfasst. Im Empfangsgebiet wohnten im November 2013 etwa 1,5 Mio. Menschen, was 60% der Gesamtbevölkerung Brandenburgs entspricht.

Die Beklagte vermarktet bundesweit Radiowerbezeiten von Hörfunksendern, die von ihren Gesellschaftern betrieben werden, sowie von weiteren privaten Hörfunksendern. Sie handelt dabei auf der Grundlage von mit den Sendern abgeschlossenen Geschäftsbesorgungsverträgen als Kommissionärin im eigenen Namen, allerdings für Rechnung der Auftraggeber. Aus den von ihr vermarkteten Werbezeiten der Sender bildet die Beklagte Kombinationen, die als Senderpakete von den Werbekunden gebucht werden können. Zu diesen Senderpaketen zählen die RMS Berlin Kombi für das Sendegebiet Berlin und Brandenburg sowie die RMS Super Kombi, die nahezu das gesamte Bundesgebiet abdeckt. Nachfrager der vermarkteten Werbezeiten sind primär nationale Werbekunden, die flächendeckend in mindestens vier Bundesländern werben.

Die RMS Super Kombi, in welcher die Beklagte alle von ihr vermarkteten Sender gebündelt hat, ist das reichweitenstärkste Hörfunkwerbeangebot Deutschlands und umfasst neben der RMS Berlin Kombi die Kombinationen RMS West Kombi, RMS Ost Kombi sowie die Sender „Jam FM Kabel“ und „RTL Radio“. Neben der Beklagten bot und bietet „AS&S“ bundesweit Hörfunkwerbezeiten gegenüber Werbekunden an, allerdings nahezu ausschließlich für öffentlich-rechtliche Sender. Der Marktanteil der AS&S bei Hörfunkwerbung betrug und beträgt ca. 30%, derjenige der Beklagten ca. 60%.

Im August 2010 begehrte die R.G. erstmals die Vermarktung der Städtekombi Brandenburg GbR in der RMS Berlin Kombi und der RMS Super Kombi. Die Beklagte lehnte dies ab, weil sie nur Sender vermarkte, die mindestens ein Bundesland abdeckten und über eine für nationale Kunden relevante Reichweite verfügten. Sodann begehrten die Klägerinnen die Aufnahme der Städtekombi Brandenburg GbR in die RMS Berlin Kombi und die RMS Super Kombi ab dem Jahr 2016 zu marktüblichen Konditionen sowie die Feststellung, dass der Städtekombi Brandenburg GbR für die Jahre 2012 bis 2015 ein Anspruch auf Aufnahme in diese Vermarktungskombinationen zu marktüblichen Konditionen und unter Anwendung der kombinationsüblichen Verteilungsschlüssel für die Werbeeinnahmen zugestanden habe.

Das LG hat diese Klageansprüche zuerkannt. Das OLG hat die Klage im ersten Berufungsverfahren insgesamt abgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerinnen hat der BGH das erste Berufungsurteil aufgehoben und das Verfahren im Umfang der Aufhebung an das OLG zurückverwiesen. Daraufhin hat das OLG der Klage im zweiten Berufungsverfahren weitestgehend stattgegeben.

Die Gründe:
Der Städtekombi Brandenburg GbR stehen die noch in Streit stehenden, von den Klägerinnen in Prozessstandschaft geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte zu.

Da die Beklagte es abgelehnt hatte, die Städtekombi Brandenburg GbR bzw. die ihr angeschlossenen Radiosender in ihre Vermarktung aufzunehmen, hat sie diese anders als gleichartige private lokale oder regionale Hörfunksender bzw. Senderkombinationen behandelt, deren Hörfunkwerbezeiten durch die Beklagte unstreitig vermarktet wurden. Für diese Ungleichbehandlung bestand kein sachlich gerechtfertigter Grund bzw. wurde die Städtekombi Brandenburg GbR dadurch unbillig behindert. Ob für eine unterschiedliche Behandlung eine sachliche Rechtfertigung besteht, ist aufgrund einer Abwägung aller beteiligten Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Kartellrechts zu beantworten.

Bei dieser Abwägung konnte nicht festgestellt werden, dass die von der Beklagten geforderte mindestens bundeslandesweite Rundfunklizenz im Hinblick auf die wettbewerbliche Handlungsfreiheit der Beklagten als sachgerecht und die Städtekombi Brandenburg GbR nicht unbillig behindernd anzusehen war. Das Gegenteil war vielmehr der Fall. Die mit Blick auf die Interessen nationaler Werbekunden erwünschte Mindestgröße eines Senders kann bereits durch das Hörerzahlkriterium gewährleistet werden. Eine bundeslandweite Hörfunksendelizenz sagt dabei nichts darüber aus, ob der Hörfunksender tatsächlich im gesamten (Flächen-) Bundesland empfangen werden kann. Eine gleichmäßige Verteilung der Hörer eines Senders über das Gesamtgebiet eines (Flächen-) Bundeslands kann damit ebenfalls nicht gewährleistet werden, und eine solche Verteilung spielt neben der reinen Hörerzahl für die Vermarktung von Hörfunkwerbezeiten an überregional Werbetreibende auch keine Rolle.

Daher ist das Kriterium einer bundeslandweiten Hörfunklizenz kein sachlich gerechtfertigter Grund i.S.v. § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB für die Nichtaufnahme eines Hörfunksenders in eine von einem markbeherrschenden Unternehmen gebildete Kombination, mit welcher die Hörfunkwerbezeiten unterschiedlicher Sender gebündelt gegenüber überregional Werbetreibenden vermarktet werden. Ein Alternativkriterium (hier: technische Erreichbarkeit von 50% der Wohnbevölkerung eines Bundeslandes), welches das marktbeherrschende Unternehmen nur in Bundesländern anwendet, in denen keine landesweiten Hörfunklizenzen vergeben werden, kann gegenüber einem Sender aus einem der anderen Bundesländer nicht hilfsweise herangezogen werden.

In der Rechtsfolge war die Beklagte gem. § 33 Abs. 1, Alt. 1 GWB verpflichtet, die Städtekombi Brandenburg GbR bzw. die von ihr repräsentierten Sender in die Vermarktung in die RMS Berlin Kombi und daher auch in die RMS Super Kombi aufzunehmen. Dieser Aufnahme stand nach den obigen Ausführungen kein (sachlich gerechtfertigtes) Kriterium entgegen. Die Beklagte schuldet der Städtekombi Brandenburg GbR zudem gem. § 33a Abs. 1 GWB Schadensersatz. Danach ist, wer einen Verstoß i.S.v. § 33 Abs. 1 GWB vorsätzlich oder fahrlässig begeht, zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Die Einrede der Verjährung stand dem Anspruch nicht entgegen. Eine Klage in Prozessstandschaft hemmt die Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB jedenfalls auch dann, obwohl die Voraussetzungen einer wirksamen Prozessstandschaft bei Klagerhebung noch nicht sämtlich vorlagen, wenn die Prozessstandschaft in unverjährter Zeit offengelegt wird.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.01.2023 08:14
Quelle: Landesrecht Hamburg

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