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OLG Köln v. 12.1.2024 - 6 U 65/23

Apotheken-Lieferservice an Sonn- und Feiertagen trotz Widerspruchs in der Literatur unlauter

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Bundesverordnungsgeber mit der Neufassung des § 23 ApoBetrO im Jahr 2012 eine abschließende Regelung auch für die Befugnis der Apotheken, an Sonn- und Feiertagen unabhängig von den Ladenöffnungszeiten der Länder zu öffnen, treffen wollte. Das einschlägige Schrifttum vertritt eine zur Auffassung des Senats gegenteilige Auslegung, was die Grundsatzbedeutung nahelegt.

Der Sachverhalt:
Der Beklagte ist Apotheker und als solcher Inhaber einer Apotheke. Er kooperiert mit einem Apotheken-Lieferservice für Verbraucher. Zu diesem Zweck betreibt der Lieferservice eine Smartphone-App, über die Verbraucher Produkte bei teilnehmenden Apotheken bestellen können. Die bestellten Produkte werden bei der jeweiligen Apotheke von einem beim Lieferservice angestellten Botenfahrer abgeholt und noch am Tag der Bestellung an die im Bestellprozess angegebene Anschrift ausgeliefert. Der Beklagte lässt Kunden seiner Apotheke auch außerhalb seiner Notdienstzeiten über diesen Lieferdienst an Werktagen und an Sonn- und Feiertagen beliefern.

Der Kläger, ein Wettbewerbsverein, hatte den Beklagten auf Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten mit der Begründung in Anspruch genommen, dieser verstoße gegen das Ladenöffnungs- und das Feiertagsgesetz des Landes NRW, indem er sich an einem auch sonntags tätigen Lieferdienst für Medikamente beteilige. Das LG hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten blieb vor dem OLG erfolglos. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum BGH zugelassen.

Die Gründe:
Das LG ist auf Grundlage einer zutreffenden Interpretation des Verhältnisses zwischen § 23 ApoBetrO einerseits und dem LÖG NRW andererseits zu dem richtigen Ergebnis gelangt, dass dem Kläger ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3, 3a UWG zusteht.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Bundesverordnungsgeber mit der Neufassung des § 23 ApoBetrO im Jahr 2012 eine abschließende Regelung auch für die Befugnis der Apotheken, an Sonn- und Feiertagen unabhängig von den Ladenöffnungszeiten der Länder zu öffnen, treffen wollte. Auch das LG hat nicht verkannt, dass der Wortlaut des § 23 ApoBetrO im Vergleich zur vor 2012 geltenden Fassung keine ausdrückliche Befugnis zum Erlass von Schließungsanordnungen mehr vorsieht.

Hieraus ließ sich indes entgegen der Berufung, die sich allerdings auf Befürworter im apothekenrechtlichen Schrifttum stützen kann, nicht schließen, dass die Vorschrift den Apotheken die uneingeschränkte Befugnis verleiht, an Sonn- und Feiertagen ihre Dienstbereitschaft auch unabhängig von ihrer Notdiensteinteilung und ungeachtet der Vorschrift des § 7 Abs. 2 LÖG NRW zu versehen. Soweit die Berufung und die vorgenannten Literaturstimmen meinen, der Wortlaut stelle in diesem Fall die Grenze der Auslegung dar, trifft das nicht zu. Denn nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen ist zwar der in einer Gesetzesvorschrift zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgeblich, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung ergibt. Daneben und gleichrangig ist aber auch der Sinnzusammenhang zu berücksichtigen, in den die Vorschrift hineingestellt ist.

Mithin ging der Verordnungsgeber selbst davon aus, dass die Länder mit ihren Ladenschlussgesetzen weiterhin befugt sein sollten, die zur Dienstbereitschaft verpflichteten Apotheken in den Geltungsbereich ihrer (eigenen oder als Bundesrecht fortdauernden) Regelungen über die Schließung an Sonn- und Feiertagen einzubeziehen. Hierin ist ein Vorbehalt zugunsten der Legislativen der Länder im erwähnten Sinne zu sehen, auch wenn er nicht im (insofern offenen) Normtext selbst, sondern in der Begründung enthalten ist, die indes, wie oben ausgeführt, ebenfalls heranzuziehen ist.

Doch auch, wenn die Frage nach der Reichweite des § 23 ApoBetrO aus Sicht des Senats eindeutig zu beantworten ist, liegt insoweit keine gefestigte höchst- oder obergerichtliche Rechtsprechung vor. Das einschlägige Schrifttum vertritt eine zur Auffassung des Senats gegenteilige Auslegung, was die Grundsatzbedeutung nahelegt. Die Frage kann sich zudem in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen. Für den betroffenen Berufsstand der Apothekerinnen und Apotheker kommt der Frage eine jedenfalls nicht unerhebliche tatsächliche und wirtschaftliche Bedeutung zu, was ebenfalls die Annahme der Grundsatzbedeutung rechtfertigt.

Mehr zum Thema:

Kurzbeitrag:
BGH: Nur wirksame Verordnung kann Sonntagsöffnung von Geschäften legitimieren
René Rosenau, IPRB 2023, 154

Rechtsprechung:
Verfassungskonforme Auslegung der Ermächtigung zu Sonntagsöffnungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BerlLadÖffG
BVerwG vom 16.03.2022 - 8 C 6.21

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.01.2024 10:14
Quelle: Justiz NRW

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