Otto Schmidt Verlag

LG Düsseldorf v. 2.2.2023 - 14c O 74/22

Verfügungsgeschmacksmuster und erforderliche Eigenart

Für die Ermittlung der Eigenart ist die Unterschiedlichkeit der Muster das maßgebliche Kriterium. Abzustellen ist auch insoweit auf das Verständnis des informierten Benutzers. Ob das Verfügungsgeschmacksmuster dabei über die erforderliche Eigenart verfügt, ist durch einen Einzelvergleich mit bereits vorhandenen Mustern zu ermitteln.

Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin betreibt einen Fachhandel für Leuchtmittel in Wuppertal. Zugunsten der Yuyao Hilite Electric Co, Ltd. (Inhaberin) ist das Verfügungsgeschmacksmuster mit der englischsprachigen Erzeugnisangabe „LED Lights“ (in deutscher Übersetzung „Dioden“) am 18.12.2017 im Register des European Union Intellectual Property Office (EUIPO) angemeldet worden und seit dem 20.12.2017 eingetragen sowie veröffentlicht. Das Verfügungsgeschmacksmuster steht in Kraft und zeigt eine Leuchte. Die Antragstellerin ist Vertriebspartnerin und Lizenznehmerin der Inhaberin.

Die Antragsgegnerin ist eine Gesellschaft mit Sitz in Frankreich. Sie hatte auf einer Internetseite verschiedene Dekorationsobjekte angeboten, u.a. die hier angegriffene Leuchte. Die Internetseite ist auf Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch und Deutsch abrufbar. Die Antragsgegnerin vertrieb die angegriffene Leuchte zudem über andere Plattformen wie ManoMano.de, Amazon.de, Limango.de und Kaufland.de. Sie war ursprünglich ebenfalls Lizenznehmerin der Inhaberin des Verfügungsgeschmacksmusters. Die Vertrags- und Lieferbeziehung wurde im März 2021 eingestellt.

Die Antragstellerin führte einen Testkauf durch, woraufhin die angegriffene Leuchte ihr am 16.8.2022 nach Deutschland geliefert wurde. Mit Schreiben vom 18.8.2022 mahnte die Antragstellerin die Antragsgegnerin erfolglos wegen Verletzung des Verfügungsgeschmacksmusters und wegen einer Verbrauchertäuschung gem. § 8 Abs. 1 i.V.m. § 3a und § 5 UWG ab. Das LG hat per einstweiliger Verfügung dem Unterlassungsbegehren der Antragstellerin stattgegeben.

Die Antragsgegnerin war der Ansicht, es fehle am Verfügungsgrund und am Verfügungsanspruch. Außerdem sei die Beschlussverfügung der Kammer wegen Verletzung ihres Rechts auf prozessuale Waffengleichheit und mangels wirksamer Vollziehung durch die Antragstellerin aufzuheben. Es fehle dem Verfügungsgeschmacksmuster an der Voraussetzung der Neuheit, jedenfalls aber auch unter Berücksichtigung des weiteren vorbekannten Formenschatzes an der erforderlichen Eigenart.

Das LG hat den Widerspruch für unbegründet erklärt und die die einstweilige Verfügung bestätigt.

Die Gründe:
Die einstweilige Verfügung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen die prozessualen Rechte der Antragsgegnerin aufzuheben. Soweit die Antragsgegnerin geltend machte, dass ihr vor Erlass der einstweiligen Verfügung nicht ausreichend rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährt worden sei, wäre ein solcher – unterstellter – Verstoß jedenfalls durch die Durchführung der mündlichen Verhandlung, die auf den Widerspruch der Antragsgegnerin gem. § 924 Abs. 2 Satz 2 ZPO erfolgte, zwischenzeitlich geheilt.

Überdies wurde im Streitfall das grundrechtsgleiche Recht der Antragsgegnerin auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG nicht verletzt. Angesichts der Regelung in §§ 936, 922 Abs. 3 ZPO war die Antragsgegnerin vorliegend nach den Hinweisen der Kammer zur teilweise fehlenden Erfolgsaussicht der Eilanträge, die sich nur zugunsten der Antragsgegnerin ausgewirkt haben, nicht zwingend noch vor Erlass der mit einer ausführlichen Begründung versehenen Beschlussverfügung zu informieren. Denn hier ist kein weiterer oder neuer Vortrag der Antragstellerin auf die gerichtlichen Hinweise hin erfolgt, weil es gerade nicht darum ging, einen Antrag nachzubessern. Die Antragstellerin hat auf die gerichtlichen Hinweise hin lediglich Teile ihres Antrags zurückgenommen.

Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr ein Anspruch auf Unterlassung gem. Art. 19 Abs. 2, 10, 89 Abs. 1 a) Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV) zusteht. Ein Geschmacksmuster gilt als neu, wenn der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist, wobei zwei Geschmacksmuster als identisch gelten, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Elementen unterscheiden, Art. 5 GGV. Ein Geschmacksmuster besitzt Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Betrachter hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein vorbekanntes anderes Geschmacksmuster bei diesem Betrachter hervorruft, Art. 6 GGV.

Für die Ermittlung der Eigenart ist die Unterschiedlichkeit der Muster das maßgebliche Kriterium. Abzustellen ist auch insoweit auf das Verständnis des informierten Benutzers. Ob das Verfügungsgeschmacksmuster dabei über die erforderliche Eigenart verfügt, ist durch einen Einzelvergleich mit bereits vorhandenen Mustern zu ermitteln. Für die Bejahung der Eigenart eines Geschmacksmusters muss sich der Gesamteindruck, den dieses beim informierten Benutzer hervorruft, nicht von dem Gesamteindruck, den eine Kombination einzelner Elemente von mehreren älteren Geschmacksmustern hervorruft, sondern von dem Gesamteindruck, den ein oder mehrere ältere Geschmacksmuster für sich genommen hervorrufen, unterscheiden. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze weist das Verfügungsgeschmacksmuster Neuheit und Eigenart auf.

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Aufsatz:
Das Einheitspatentsystem
Aloys Hüttermann, IPRB 2022, 213

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.02.2023 16:25
Quelle: Justiz NRW

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