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Anpassung der Beschreibung von Europäischen Patenten - Divergierende Auslegung des EPÜ beim Europäischen Patentamt und seinen Beschwerdekammern (Claessen, IPRB 2023, 14)

Die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts erlassen in den letzten zwei Jahren zum Thema der Anpassung der Beschreibung von Patenten bei Erteilung offenbar bewusst widersprüchliche Entscheidungen, nachdem eine Beschwerdekammer es gewagt hatte, die Notwendigkeit der Anpassung der Beschreibung bei Erteilung in Frage zu stellen. Das Europäische Patentamt hat unter den führenden Patentämtern mit Abstand die strengsten Regeln zur Anpassung der Beschreibung. Es besteht die Möglichkeit einer Harmonisierung dieser Frage unter den Patentämtern.

I. Wie alles begann
II. Reaktion des Europäischen Patentamts
III. Folgeentscheidungen der Beschwerdekammern
IV. Aussichten


I. Wie alles begann

Patentanmelder haben ein Interesse daran, die Beschreibung der Erfindung so wenig wie möglich ändern zu müssen, da diese Beschreibung später bei der Beurteilung einer Patentverletzung hinzugezogen wird und insbesondere bei der Beurteilung einer äquivalenten Patentverletzung Streichungen nachteilig für die Patentinhaber sein können.

Eine Besonderheit des europäischen Patenterteilungsverfahrens ist die Notwendigkeit der Anpassung der Beschreibung an die erteilten Ansprüche. Dieses Erfordernis gibt es bei den anderen führenden Patentämtern in dieser Form nicht. Ohne dass eine Rechtsgrundlage dafür erkennbar war, wurden die Prüfungsrichtlinien des Europäischen Patentamts für das Jahr 2021 sogar noch verschärft. Es müssen – wenn es nach den Prüfungsrichtlinien geht – nun im Prinzip alle Sachverhalte und Beispiele, die nicht mehr unter die Patentansprüche fallen, gestrichen oder als nicht mehr erfindungsgemäß gekennzeichnet werden.

Dies hat eine Beschwerdekammer in einer am 22.12.2021 veröffentlichten Entscheidung T 1989/18 anders gesehen. In dieser Entscheidung setzt sich die Beschwerdekammer sehr ausführlich mit allen Rechtsgrundlagen auseinander, die für die Notwendigkeit der Anpassung der Beschreibung infrage kommen könnten. Sie kommt hiernach zu dem Schluss, dass es für eine Anpassung der Beschreibung und insbesondere für die Streichung oder Kennzeichnung von nicht mehr erfindungsgemäßen Ausführungsformen keine Rechtsgrundlage gebe. Im Einzelnen:

Art. 84 EPÜ lautet:
„Die Patentansprüche müssen den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird. Sie müssen deutlich und knapp gefasst sein und von der Beschreibung gestützt werden.“

Die Beschwerdekammer wies darauf hin, dass die Ansprüche also in sich klar sein müssen – ohne Bezugnahme auf die Beschreibung. Die Beschwerdekammer war der Auffassung, dass die Ansprüche durch die Beschreibung gestützt sein müssen, aber nur insoweit, als die Ansprüche keine Gegenstände enthalten sollten, die keine Grundlage in der Beschreibung haben. Es ist aus Sicht der Kammer nicht verboten, in der Beschreibung zusätzliche Gegenstände zu nennen, die nicht in den Ansprüchen vorkommen.

Art. 69 EPÜ verwarf die Kammer ebenfalls als Rechtsgrundlage. Dieser besagt, dass der Umfang des durch ein Patent gewährten Schutzes durch die Ansprüche bestimmt wird, dass aber die Beschreibung zur Auslegung der Ansprüche herangezogen werden muss. Art. 69 EPÜ sei irrelevant, so die Kammer, da er sich nicht mit der Definition des Gegenstands befasst, der durch einen Anspruch geschützt werden soll, sondern nur damit, wie die Ansprüche auszulegen sind.

Regel 42(1)(c) EPÜ fällt aus Sicht der Kammer gleichermaßen als Rechtsgrundlage aus. Die Kammer konnte nicht erkennen, wie diese Regel zur Rechtfertigung eines Erfordernisses zur Änderung der Beschreibung im Einklang mit den Ansprüchen herangezogen werden könnte. Im vorliegenden Fall konnte die Beschwerdekammer insbesondere nicht erkennen, inwiefern die beanstandeten Passagen das Verständnis der technischen Aufgabe und ihrer Lösung beeinträchtigen.

Schließlich kann auch Regel 48(1)(c) EPÜ aus Sicht der Beschwerdekammer keine Rechtsgrundlage für das Erfordernis der Anpassung der Beschreibung sein. Die Regel besagt, dass...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.01.2023 09:39
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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