Otto Schmidt Verlag

EuGH, C-124/21 P: Schlussanträge des Generalanwalts v. 15.12.2022

Wettbewerbswidrigkeit der Regeln der Internationalen Eislaufunion

Generalanwalt Rantos schlägt die Aufhebung des die Wettbewerbswidrigkeit der Regeln der Internationalen Eislaufunion bestätigenden Urteils des Gerichts vor. Er schlägt vor, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen.

Der Sachverhalt:
Die International Skating Union (Internationale Eislaufunion, ISU) beantragt, das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 16. Dezember 2020, International Skating Union/Kommission (T-93/18), teilweise aufzuheben. Mit diesem Urteil hatte das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 8. Dezember 2017 in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens teilweise abgewiesen. Die Kommission hatte in jenem Beschluss erklärt, dass die ISU-Regeln, nach denen Sportler für die Teilnahme an nicht von der ISU anerkannten Eisschnelllauf-Wettkämpfen mit harten Sanktionen belegt werden, gegen die Wettbewerbsregeln der EU verstoßen.

Parallel dazu haben die beiden Sportler, deren Beschwerde die Kommission zur Einleitung des Verfahrens gegen die ISU veranlasst hatte, Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit dem sie ebenfalls die teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragen. Sie wenden sich gegen den Teil des angefochtenen Urteils, in dem das Gericht entschieden hat, dass der von der ISU eingeführte Mechanismus eines ausschließlichen und verbindlichen Schiedsverfahrens nicht als „Verstärkung“ der von der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung, wie sie die Kommission festgestellt habe, angesehen werden könne.

In seinen Schlussanträgen schlägt Generalanwalt Athanasios Rantos vor, das Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen.

Zur Anwendung des Wettbewerbsrechts auf Regelwerke von Sportverbänden

Der Generalanwalt klärt in seinen Vorbemerkungen den für eine wettbewerbsrechtliche Analyse der Regelwerke von Sportverbänden anzuwendenden Prüfungsrahmen. Er weist darauf hin, dass die Regelwerke führender Sportverbände wie der ISU grundsätzlich nicht der Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union entzogen sind. Da es sich um Regelwerke von Sportverbänden handelt, können die Hinweise in Art. 165 AEUV auf die besonderen Merkmale des Sports vor allem relevant sein, um zu beurteilen, ob die Wettbewerbsbeschränkungen gerechtfertigt sind.

Weiter weist der Generalanwalt darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wenn die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen einer umstrittenen Regelung eines Sportverbands zu Recht als notwendig angesehen werden können, um ein legitimes „sportliches“ Ziel zu verwirklichen, die betreffenden Maßnahmen nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen. Dies setzt allerdings voraus, dass diese Auswirkungen nicht über das für die Verfolgung dieses Ziels erforderliche Maß hinausgehen.

Angesichts der traditionellen Rolle von Sportverbänden besteht bei ihnen die Gefahr eines Interessenkonflikts, denn sie verfügen einerseits über Reglementierungsbefugnisse und sind andererseits zugleich wirtschaftlich tätig.

Wie der Generalanwalt betont, bedeutet der bloße Umstand, dass ein und dieselbe Einrichtung sowohl eine Reglementierungsfunktion als auch die Funktion eines Veranstalters von Sportwettkämpfen wahrnimmt, an sich keinen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union. Im Übrigen hat ein Sportverband wie die ISU hauptsächlich dafür zu sorgen, dass Dritten der Zugang zum Markt nicht in unzumutbarer Weise verwehrt und dadurch nicht der Wettbewerb auf diesem Markt verfälscht wird. Sportverbände können unter bestimmten Bedingungen Dritten den Marktzugang verweigern, ohne deshalb gegen das Wettbewerbsrecht zu verstoßen, sofern diese Verweigerung durch legitime Ziele gerechtfertigt ist und die von diesen Verbänden ergriffenen Maßnahmen, gemessen an diesen Zielen, verhältnismäßig sind.

Zum Rechtsmittel

Der Generalanwalt prüft, ob das Gericht durch die Bestätigung des streitigen Beschlusses, soweit darin festgestellt wurde, dass eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung gegeben sei, Art. 101 Abs. 1 AEUV rechtsfehlerfrei ausgelegt hat.

Er geht daher der Frage nach, ob das Gericht im Wege einer „kombinierten“ oder „parallelen“ Prüfung ermitteln durfte, ob eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vorlag und ob es für diese keine objektiven und verhältnismäßigen Rechtfertigungsgründe gab. Nach Auffassung des Generalanwalts hinterlässt das Gericht mit diesem Vorgehen insoweit eine gewisse Ratlosigkeit, als nicht klar erkennbar ist, was es genau geprüft hat. So hielt sich das Gericht in einem ersten Schritt an die klassische Methode zur Feststellung einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung, indem es zunächst den Inhalt der Zulassungsbestimmungen prüfte. Bei der in einem zweiten Schritt vorgenommenen Prüfung der mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziele scheint das Gericht aber diese Ziele anhand der Kriterien des Urteils Meca Medina geprüft zu haben, das die Frage betrifft, ob die festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen objektiv gerechtfertigt sind.

Der Generalanwalt hält sowohl die inhaltliche Auslegung der ISU-Regeln durch das Gericht als auch dessen Prüfung einer Unverhältnismäßigkeit dieser Bestimmungen, die zu dem Schluss führten, dass eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, für unzutreffend. Dies hätte eine Ausweitung des Begriffs der „bezweckten Wettbewerbsbeschränkung“ zur Folge, die nicht mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs vereinbar wäre, wonach dieser Begriff eng auszulegen ist.

Daher kommt der Generalanwalt zu dem Ergebnis, dass das Gericht bei der Beurteilung der ISU-Regeln als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einen Rechtsfehler begangen hat. Er schlägt vor, dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben und das Urteil des Gerichts aufzuheben, soweit es die Feststellung einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung betrifft.

Allerdings führt der Generalanwalt aus, dass noch zu bestimmen ist, ob die in Rede stehenden Vereinbarungen eine Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV „bewirken“. Dieser Aspekt des Rechtsstreits macht jedoch die Prüfung von Tatfragen auf der Grundlage von Umständen erforderlich, die das Gericht im angefochtenen Urteil nicht gewürdigt hat. Im Übrigen wurden die Fragen zur Analyse der Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht vor dem Gerichtshof verhandelt, so dass der Rechtsstreit in dieser Hinsicht nicht entscheidungsreif ist. Folglich schlägt der Generalanwalt vor, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung vorzubehalten.

Zum Anschlussrechtsmittel

Der Generalanwalt prüft, ob das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, als es davon ausging, die Kommission habe unzutreffend festgestellt, dass die ISU-Schiedsordnung die durch die Zulassungsbestimmungen der ISU verursachte Wettbewerbsbeschränkung verstärke. Er fragt, ob die Kommission zu Recht den Mechanismus des ausschließlichen und verbindlichen Rückgriffs auf das Schiedsverfahren im Rahmen einer isolierten und von der Feststellung der Zuwiderhandlung getrennten Prüfung als einen die Wettbewerbsbeschränkung „verstärkenden Faktor“ bezeichnen durfte. Dieses Vorgehen werfe Fragen auf, da die Kommission nicht angenommen habe, dass die Schiedsklausel als solche keine Zuwiderhandlung darstelle.

Der Generalanwalt ist der Ansicht, das Gericht habe zu Recht anerkannt, dass der Rückgriff auf einen Mechanismus, der eine ausschließliche und verbindliche Schiedsgerichtsbarkeit vorsehe, eine allgemein anerkannte Methode der Streitbeilegung sei und dass die Vereinbarung einer Schiedsklausel an sich noch nicht den Wettbewerb beschränke. Er weist auch darauf hin, dass die Inanspruchnahme der Schiedsgerichtsbarkeit durch legitime Interessen, nämlich das Erfordernis, Streitigkeiten im Bereich des Sports einer spezialisierten gerichtlichen Instanz zuzuweisen, gerechtfertigt werden kann.

Zur Schiedsordnung beim Internationalen Sportgerichtshof (CAS) führt der Generalanwalt aus, dass diese nicht mit Schiedsvereinbarungen vergleichbar sei, die – wie in den Rechtssachen Achmea und PL Holdings – zwischen Mitgliedstaaten und privaten Parteien im Rahmen bilateraler Investitionsverträge geschlossen wurden. Folglich sind die Grundsätze, die sich aus der diesen Urteilen zu entnehmenden Rechtsprechung ergeben, nicht auf die Schiedsordnung in der vorliegenden Rechtssache übertragbar, da diese Schiedsordnung die volle Wirksamkeit und die Einheitlichkeit des Unionsrechts nicht zu beschneiden vermag.

Der Generalanwalt kommt zu dem Ergebnis, dass das Gericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, dass der Mechanismus des ausschließlichen und verbindlichen Rückgriffs auf das Schiedsverfahren nicht als ein „verstärkender Faktor“ der in Rede stehenden Wettbewerbsbeschränkung qualifiziert werden könne.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.12.2022 11:36
Quelle: EuGH PM Nr. 204 vom 15.12.2022

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