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Das Gesetz über digitale Dienste - ein Überblick (Boden, IPRB 2023, 96)

Mit dem Gesetz über digitale Dienste bzw. dem Digital Services Act reagiert die EU auf die Entwicklung der immer größer werdenden Online-Plattformen wie z.B. Amazon. Da diese quasi-zu öffentlichen Räumen für den Informationsaustausch und den Online-Handel geworden seien, bürgen sie besondere Risiken für die Rechte der Nutzer, den freien Informationsfluss und die öffentliche Beteiligung, so die Europäische Kommission. Ziel ist es, die unterschiedlichen Rechtsvorschriften in den einzelnen Mitgliedsländern zu vereinheitlichen und somit kleineren Plattformen, KMU und Start-Ups das Wachstum zu erleichtern und zu ermöglichen, wie auch ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen. Es soll ein sicheres, berechenbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld sichergestellt werden, das der Verbreitung rechtswidriger Online-Inhalte und den gesellschaftlichen Risiken, die die Verbreitung von Desinformation oder anderen Inhalten mit sich bringen kann, entgegenwirkt, und in dem die in der Charta verankerten Grundrechte wirksam geschützt und Innovationen gefördert werden (Erwägungsgrund 9 der VO 2022/2065/EU). Der Beitrag stellt die neuen Regelungen des Gesetzes über digitale Dienste vor.

I. Entstehungsgeschichte und Anwendungsbereich
1. Gesetzgebungsverfahren
2. Ziele der Verordnung
3. Betroffene Vermittlungsdienste, Haftungsregime und Anwendungsbereich
II. Generelle Verpflichtungen für Vermittlungsdienste
1. Benennung von Kontaktstellen
2. Benennung eines gesetzlichen Vertreters
3. Transparente allgemeine Geschäftsbedingungen
4. Transparenzpflichten für alle Anbieter
III. Zusätzliche Verpflichtungen für Hostingdiensteanbieter, einschließlich Online-Plattformen: Melde- und Abhilfeverfahren
IV. Zusätzliche Verpflichtungen für Online-Plattformen
1. Internes Beschwerdemangementsystem und außergerichtliche Streitbeilegung
2. Vertrauenswürdige Hinweisgeber
3. Transparenzpflichten
4. Verbot von „Dark Patterns“
5. Transparenzpflichten für Werbung
6. Transparenz der Empfehlungssysteme
V. Weitere Verpflichtungen für Online-Handelsplattformen
1. Nachverfolgbarkeit von Unternehmen
2. Konformität durch Technikgestaltung
VI. Zusätzliche Verpflichtungen für sehr große Online-Plattformen und sehr große Online-Suchmaschinen
1. Begriff der sehr großen Online-Plattform und -Suchmaschine
2. Risikomanagement, Risikominderung und Krisenreaktionsmechanismus
3. Weitere Pflichten für sehr große Online-Plattformen und sehr große Online-Suchmaschinen
VII. Fahrplan für die Umsetzung der Vorgaben
VIII. Zuständige Behörden
IX. Sanktionen
X. Fazit


I. Entstehungsgeschichte und Anwendungsbereich

1. Gesetzgebungsverfahren

Bereits am 16.7.2019 verkündete die damalige Amtsbewerberin und jetzige Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in ihrer Agenda für Europa mit einem Gesetz über digitale Dienste „unsere Haftungs- und Sicherheitsregeln für digitale Plattformen, Dienste und Produkte zu erweitern“. Der erste Entwurf des Gesetzes über digitale Dienste (im Folgenden: „GDD“), engl.: Digital Services Act („DSA“), wurde dann von der Europäischen Kommission am 15.12.2020 vorgeschlagen. Der Entwurf der Europäischen Kommission berücksichtigte mehr als 3.000 Antworten von Interessengruppen während einer 14-wöchigen Konsultation (u.a. von Vermittlern des Privatsektors, Nutzern digitaler Dienste, Organisationen der Zivilgesellschaft, Wissenschaftlern und der allgemeinen Öffentlichkeit).

Eine politische Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU wurde am 23.4.2022 erzielt, wobei das Europäische Parlament den DSA im Juli 2022 formell annahm. Die Verordnung 2022/2065/EU vom 19.10.2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG (Gesetz über digitale Dienste) wurde dann am 27.10.2022 im Amtsblatt veröffentlicht und trat am 16.11.2022 in Kraft. Obwohl alle Verpflichtungen im Rahmen des GDD ab dem 17.2.2024 gelten, müssen bestimmte Arten von Vermittlungsdiensten bestimmte Verpflichtungen vor diesem Datum erfüllen.

2. Ziele der Verordnung
Wie bei anderen großen Gesetzgebungsverfahren, z.B. der Datenschutz-Grundverordnung, hat die Europäische Kommission festgestellt, dass die Entwicklung der Rechtsvorschriften mit den raschen Fortschritten der Technologie Schritt halten muss. Seit der Einführung der eCommerce-Richtlinie im Jahr 2000 haben sich Art, Umfang, Verbreitung und Bedeutung von Online-Vermittlungsdiensten dramatisch verändert. Solche Dienste werden heute von der Mehrheit der EU täglich genutzt – in einigen Fällen sind sie zu einem wichtigen Teil des Rückgrats der digitalen Wirtschaft geworden und können fast als „öffentliche“ Online-Räume betrachtet werden.

Während die rasante Entwicklung von Online-Vermittlungsdiensten auf der ganzen Welt der Gesellschaft, den Verbrauchern und den Unternehmen gleichermaßen erhebliche Vorteile gebracht hat (z.B. Innovation für die Verbraucher, Erleichterung der Effizienz, grenzüberschreitender Handel und andere wirtschaftliche Vorteile), besteht die Hauptsorge der Europäischen Kommission darin, dass diese Entwicklungen auch den Handel mit und die Verbreitung von illegalen Inhalten (einschließlich illegaler Waren und Dienstleistungen) im Internet sowie schädliche Praktiken wie „Dark Patterns“ erleichtern und dass der Missbrauch oder die Manipulation von Algorithmen diese Verbreitung sowie andere schädliche Inhalte wie insbesondere Desinformation noch verstärken kann.

Während das GDD nicht definiert, was online illegal ist, hat Ursula von der Leyen klar gesagt, dass das GDD „dem Grundsatz, dass das, was offline illegal ist, auch online illegal sein sollte, praktische Wirkung verleiht“. Dementsprechend definiert das GDD „rechtswidrige Inhalte“ unter Bezugnahme auf das EU-Recht und das im Einklang mit dem EU-Recht erlassene Recht der EU-Mitgliedstaaten – demzufolge reichen rechtswidrige Inhalte von gefährlichen/gefälschten Waren, gegen geistiges Eigentum verstoßenden Inhalten und illegalen Arzneimitteln bis hin zu Cyber-Mobbing/Gewalt und der Verbreitung illegaler Hassreden, terroristischer Inhalte und Materialien über den sexuellen Missbrauch von Kindern, auch wenn es je nach Mitgliedstaat vorhersehbar zu Unterschieden kommen könnte, was rechtswidrig ist und was nicht.

Das Ziel, ein sicheres, berechenbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld zu schaffen, findet seinen Ausdruck in erweiterten Transparenzpflichten für Vermittlungsdienste, Meldeverfahren zu rechtswidrigen Inhalten oder Schadensersatzansprüchen von Nutzern bei Verstößen gegen die Verordnung. Es soll die Sicherheit und das Vertrauen der Verbraucher, insbesondere Minderjähriger oder Nutzern, die z.B. aufgrund Ihrer sexuellen Orientierung oder Ihres Aussehens besonders gefährdet sind, Opfer von Hassrede oder anderer diskriminierender Handlungen zu werden, gewährleistet werden. Vermittlungsdiensten sollen sinnvolle Rechenschaftspflichten auferlegt und den Behörden die Aufsicht erleichtert werden.

3. Betroffene Vermittlungsdienste, Haftungsregime und Anwendungsbereich
Wie bereits in Art. 12 -14 der Richtline 2001/31 EG („E-Commerce-Richtlinie“), werden im GDD drei Arten von Vermittlungsdiensten definiert:

  • reine Durchleitungsdienste, deren Leistung von einem Nutzer bereitgestellte Informationen in einem Kommunikationsnetz zu übermitteln oder den Zugang zu einem Kommunikationsnetz zu vermitteln (Art. 3 Buchst. g, i, Art. 4); diese umfassen bpsw....
     



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.06.2023 12:22
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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