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Aktuell im IPRB

Das Richtlinienvorhaben der Europäischen Kommission zur Eindämmung von SLAPP-Klagen - aktueller Stand und Diskussion (Dinig/Prigge, IPRB 2023, 51)

SLAPP-Klagen („strategic lawsuits against public participation“) sollen nach einem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission künftig erschwert werden. Konkret geht es um die Abwehr offenkundig missbräuchlicher oder unbegründeter Zivilklagen gegen Journalisten, Personen oder Organisationen, die sich für die Verteidigung der Grundrechte und einer Vielzahl anderer Rechte einsetzen, z.B. Umwelt- und Klimarechte, Frauenrechte, Rechte von LGBQTIQ-Personen, Rechte von Angehörigen einer ethnischen Minderheit, Arbeitsrechte oder religiöse Freiheiten. Mit SLAPP-Klagen sollen Personen, die sich für die genannten Rechte öffentlich einsetzen, eingeschüchtert und daran gehindert werden, ihre Arbeit fortzusetzen, wodurch das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Informationsfreiheit und eine pluralistische öffentliche Debatte gefährdet sein können. Das Richtlinienvorhaben will Gerichte und die betroffenen Beklagten mit Instrumenten zur Abwehr derartiger missbräuchlicher Klagen ausstatten. Der Beitrag stellt den Richtlinienentwurf der EU-Kommission vor und gibt eine kurze Übersicht über den aktuellen Diskussionsstand.

I. Einführung
1. Bisher vorgelegte Richtlinienentwürfe
2. Hintergrund des Richtlinienentwurfs der Kommission
3. Zielsetzung des Richtlinien-Vorschlags
4. Empfehlung an die Mitgliedstaaten
5. Diskussion, Musterrichtlinie und bereits existierende SLAPP-Gesetze
6. Problem des forum shoppings
II. Der Entwurf der Kommission im Überblick
1. Gegenstand und Anwendungsbereich der Richtlinie
2. Verfahrensgarantien
3. Vorzeitige Einstellung des Verfahrens
4. Rechtsbehelfe gegen missbräuchliche Gerichtsverfahren
5. Schutz vor missbräuchlichen Entscheidungen aus Drittländern
III. Die Position des Rates
IV. Ausblick und Fazit


I. Einführung

1. Bisher vorgelegte Richtlinienentwürfe

Bereits im vergangenen Jahr hat die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf vorgelegt, mit dem sie gegen SLAPP-Klagen vorgehen will. Welche Klagen im Sinne einer solchen Richtlinie als missbräuchlich anzusehen sein könnten, wie mit der durch das geplante Richtlinienverfahren zwangsläufig einhergehenden Einschränkung der Rechte der klagenden Partei umzugehen wäre, aber auch die grundsätzliche Frage, ob eine gesetzliche Regelung zur Eindämmung des Phänomens SLAPP-Klagen überhaupt notwendig ist, wird in Anbetracht der in diesem Jahr geplanten Abstimmung im Europäischen Parlament derzeit auf europäischer Ebene kontrovers diskutiert. Dabei zeichnet sich ab, dass die Auffassungen, wie streng die Vorgaben gegenüber den Mitgliedstaaten sein sollen, in den Organen der EU teilweise erheblich auseinandergehen. Zuletzt wurde durch den schwedischen Ratsvorsitz ein Gegenvorschlag vorgelegt, der für eine im Vergleich zum Vorschlag der Kommission deutlich abgeschwächte Fassung plädiert.

2. Hintergrund des Richtlinienentwurfs der Kommission
SLAPP-Klagen sind eher aus den USA bekannt. Nun beschreibt die Europäische Kommission sie als „ein neues, aber immer öfter auftretendes Phänomen in der Europäischen Union“. Das Vorgehen sei dabei sowohl strafrechtlich (insbesondere Verleumdungstatbestände) als auch zivilrechtlich (bspw. Datenschutz oder Gesetze zum Schutz der Privatsphäre) aufgesetzt, häufig im Wege der Geltendmachung von Unterlassungsklagen, die zumindest auf die Verzögerung einer Veröffentlichung zielten sowie Klagen, die erhebliche Schadenersatzansprüche zum Gegenstand haben.

Handlungsbedarf leitet die Kommission daraus ab, dass diese Gerichtsverfahren „eine besonders schädliche Form der Belästigung und Einschüchterung von Personen (...), die sich für den Schutz der öffentlichen Interessen einsetzen“ seien. In der Regel handele es sich dabei „um grundlos übertriebene Gerichtsverfahren, die in der Regel von einflussreichen Einzelpersonen, Lobbygruppen, Unternehmen und staatlichen Organen gegen Parteien eingeleitet werden, die in einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse unliebsame Kritik an den Kläger äußern oder Sachverhalte anprangern.“ Die Kommission führt aus, dass der Zweck solcher Klagen darin bestehe, „Kritiker zu zensieren, einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, indem ihnen so lange die Kosten für die Verteidigung aufgebürdet werden, bis sie ihre Kritik oder Opposition aufgeben.“ Im Gegensatz zu regulären Verfahren würden SLAPP-Klagen oftmals nicht mit dem Ziel eingeleitet, den Rechtsstreit für sich zu entscheiden.

Eine empirische Grundlage für diese Überlegungen findet die Kommission in ihren Berichten über die Rechtsstaatlichkeit von 2020 und 2021. Diese lieferten „Belege dafür, dass in der Europäischen Union immer mehr SLAPP-Klagen angestrengt werden“ und die dort erfasste Häufigkeit in einigen Mitgliedstaaten Anlass zu „ernster Besorgnis“ gebe. Deutlich werde, so referiert die Kommission, dass sich kritisch Äußernde in einer Reihe von Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit ihren Veröffentlichungen und ihrer Arbeit zunehmend Gefahren und Angriffen ausgesetzt seien, wobei verschiedene Formen erkennbar seien, neben Drohungen und körperlichen Angriffen auch juristische Einschüchterungsversuche wie etwa SLAPP-Klagen. Nach Angaben der Plattform des Europarates zur Förderung des Schutzes des Journalismus und der Sicherheit der Journalisten würden sich diesbezügliche Meldungen insbesondere in den letzten beiden Jahren merklich häufen. Beschrieben werden dabei auch Einschüchterungen durch die Justiz, etwa durch opportunistische, willkürliche oder schikanöse Anwendung von Gesetzen.

Eine vom EU-Parlament auf Ersuchen des JURI-Ausschusses in Auftrag gegebene Studie stützt diese Befürchtungen. SLAPP-Klagen hätten das Ziel der Unterdrückung von Meinungen. Dies sei eine erhebliche Bedrohung für die Freiheit pluralistischer Medien. Für die EU ergebe sich das Problem, dass die Kontrolle bei Angelegenheiten von öffentlichem Interesse eingeschränkt sei und damit auch das Funktionieren des Binnenmarkts und die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union. Die Studie sieht eine Tendenz, politische Diskussionen in die juristische Sphäre zu verlagern und sie damit aus der Öffentlichkeit zu ziehen. Als Beispiele nennt die Studie eine Bandbreite von Fällen, etwa in Malta, wo Nachrichtenagenturen von verschiedenen Geschäftsleuten verklagt wurden, wobei der Gerichtsort oftmals außerhalb Maltas lag, Verfahren in Ungarn und Rumänien, bei denen private Unternehmen kritische Inhalte über einstweilige Verfügungen und Verleumdungsklagen unterbinden konnten, aber auch Strafanzeigen von slowakischen Behörden gegen einen Journalisten wegen eines Artikels zu einem religiösen Thema.

Zu bedenken gibt der Bericht zudem, dass das volle Ausmaß an SLAPP-Kampagnen und ihrer Auswirkungen schwer zu bestimmen und zu erheben sei, da ein erheblicher Teil des rechtlichen Vorgehens gegen öffentliche Beteiligung im vorgerichtlichen Bereich stattfinde und darauf abziele, Kritik bereits im Vorfeld einer Veröffentlichung und damit auch diese zu verhindern. Dies reiche bereits aus, um ein merklichen chilling effect eintreten zu lassen, der sich nicht nur auf die Betroffenen selbst, sondern allgemein auswirke, womit SLAPP-Kampagnen bereits ihre schädliche Wirkung auf die öffentliche Beteiligung und die Presse-und Meinungsfreiheit im Besonderen entfalten würden.

3. Zielsetzung des Richtlinien-Vorschlags
Die Kommission sieht ihren Vorschlag als eine der Maßnahmen im Rahmen des Europäischen Aktionsplans für Demokratie, die Medienpluralismus und Medienfreiheit in der Europäischen Union stärken sollen. Eine Notwendigkeit für die Regelung bestehe insbesondere, da derzeit in keinem Mitgliedstaat besondere Schutzmaßnahmen gegen SLAPP-Klagen bestünden und nur wenige Staaten deren Einführung erwägen. Durch die Festlegung eines unionsweiten Standpunkts zu der Frage, welche Verfahren als SLAPP-Klagen anzusehen seien, wie auch durch die...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.03.2023 13:11
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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